Tacheles: Die Medien und wer was steuert …


Kaum hat die 68. Buchmesse ihre Pforten geschlossen, starten die 30. Medientage München mit dem Claim: Mobile & Me. Wie das Ich die Medien steuert. Beides dieses Jahr ohne uns. Warum?

Seit 1996 war ich ständiger Gast der Buchmesse. Als Aussteller (für Publikums- und Wissenschaftsverlage), als Zaungast, Fachbesucher oder Berater. Immer aber angetrieben vom dem Wunsch, aus der Nabelschau und dem Familientreffen würde endlich eine Veranstaltung, die den Menschen und seine Bedürfnisse, seine Mediennutzung in den Mittelpunkt stellt und nicht jede Form der Digitalisierung verteufelt. Seit 1993 stehe „die Frankfurter Buchmesse auch für Elektronische Medien offen“, so der Eintrag auf Wikipedia. Aber leider noch immer nicht neuen digitalen Geschäftsmodellen gegenüber.

Der Literaturbetrieb bleibt eine reine Vermittlung. Und es entstehen Jahr für Jahr Berge von Produkten, die der Rezeption der Nutzer harren. Eine Branche, die einen Markt beackert, dessen Nachfrage stetig sinkt. Die Besucherzahlen mögen – wenn wir den Statistiken trauen  – stabil bleiben, die Zusammensetzung der Besucher immer fragwürdiger. Ein geschätzter Freund, Verleger und Autor resümiert: »Gerade komme ich von der Messe zurück, die wieder einiges nüchterner war«.

Wir haben uns an der Branche die Zähne ausgebissen. Als Agentur, Dienstleister, Berater und nun als Technologieunternehmen. In jeder dieser Rollen haben wir danach gefragt, was die Kunden antreibt. Was sie wirklich wollen. Wie Unternehmen in den Dialog mit ihren Nutzern treten können. Aber was hilft es, das Monokel der Kunden zu putzen, wenn die Branche just auf dem Auge blind ist und den Blick durch die Brille des Kunden nicht riskiert?

Fast wohltuend mutet da das Versprechen der Medientage an: »Wie das Ich die Medien steuert«. Das klingt nach Menschen, nach individuellen Bedürfnissen. Und danach, wie Medien darauf reagieren. Doch die Inhalte und Thesen der Keynote von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Wahlster, CEO des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), machen schnell deutlich:

Nicht das ICH steuert die Medien, Algorithmen sollen helfen, das Angebot der klassischen Content-Fabriken effizienter und zielgerichteter zu distribuieren:

Kognitive Systeme extrahieren die Semantik von Texten, Bildern und Videoinhalten und erlernen die individuellen inhaltlichen Präferenzen und situationsbezogenen Bedürfnisse der Nutzer. Damit können die jeweils relevanten Medieninhalte aggregiert und zur richtigen Zeit am richtigen Ort als personalisierte Präsentation automatisiert bereitgestellt werden können.

Fakt ist: Der Medienbetrieb weiß nichts von seinen Nutzern. Um Inhalte nach Relevanzkriterien und situativ ausspielen zu können, braucht es Dialog und Technologie. »We only care about information we care about!«. Das hat im ersten Schritt noch nichts mit Semantik und KI zu tun. Nichts mit Wearables und Datenbrillen, Gesichts-, und Gestenanalyse. Es sind die neuen Mediengiganten Google und Facebook, die das Wissen um unsere Bedürfnisse aggregieren. Die Cloudfarmen um Mircosoft und Amazon Webservices, die Daten halten und bewerten. Und uns ständig begleiten: Mobile & Me. Nicht die Verlage, die mittelständisch geprägt sind. Oder die Medienanstalten, die von SmartTV träumen, dabei die Datenerfassung den Hardware-Lieferanten Samsung & Co. überlassen.

Unsere Technologie miitya mag zwar noch in den Kinderschuhen stecken, ermöglichte sie jedoch den Medienunternehmen, mehr über ihre Nutzer zu erfahren und in ständigen Dialog mit ihnen zu treten. Allein die Bereitschaft dazu zählt. Und die ist noch nicht ausgeprägt.

Wer steuert nun was? Aus unserer Sicht ist eine Branche, die fast 500 Jahre den Markt der Informations- und Wissensvermittlung dominierte, gerade energisch dabei, sich abzuschaffen. Kampflos wird das Heft der Nutzerbindung an die Datenkraken übergeben. Dass das nicht schlau ist, dazu bedarf es keiner Wahlsterischen »Kognitiven Systeme«, sondern nur etwas gesunden Menschenverstandes. Gute Nacht!